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Berufskundliche Fahrt nach Eisenhüttenstadt

Fachgruppe Architekten und Ingenieure der IG BAU Berlin
Fachgruppe Architekten und Ingenieure der IG BAU Berlin
05.07.2024
Presse

Fachgruppe Architekten und Ingenieure der IG BAU Berlin

Endlich verwirklichten wir am Samstag, 06. Juli 2024, unser Vorhaben der berufskundlichen Fahrt nach Eisenhüttenstadt. Leider kamen nicht ganz so viele wie erwartet mit – erfreulich: fast die Hälfte Frauen. Das Transportmittel Deutsche Bahn erwies sich als bequem und pünktlich. Seitens der Tourismusinformation führte uns kenntnisreich und echt unterhaltsam der Gymnasiallehrer i. R. Carsten Unger, ein waschechter Eisenhüttenstädter. EH wurde für das zu errichtende Eisenhüttenkombinat Ost (EKO) nach den fünf Daseins-Funktionen Arbeiten, Wohnen, Versorgen, Erholen und Bilden geplant und errichtet. Die zwar auch geplante Kirche wurde nie gebaut; stattdessen im benachbarten Schönfließ 1978 nach dem Kriege der erste Kirchenneubau in der DDR. 1950 fällte statt einer Grundsteinlegung der damalige Wirtschaftsminister der DDR, Fritz Selbmann, mit 27 Axthieben eine Kiefer und hielt sein zuvor gegebenes Wort: 27 Kästen Bier als Einstand für die Bauleute. Ab 1951 zur Errichtung des Wohnkomplexes 1 (sieben sollten es werden) übernahm der Architekt Kurt Leucht die Federführung. Alles war/ ist fußläufig erreichbar und zugleich entstand eine offene, sehr grüne Bebauung (zum Vergleich: Berliner Hinterhöfe maßen 5,5m x 5,5m).
An Mitteln wurde nicht gespart. So zieren Häusergiebel u. a. Wandmosaike aus Meißner Porzellan-Fliesen. Unterschiedliche Baustile unterscheiden die Wohnkomplexe. Man sieht, dass mit fortschreitenden Baujahren die Materialien und das Geld knapper wurden – was allerdings für die letzten mehr als dreißig Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung noch deutlicher erkennbar ist. Zur Wohnungsvergabe galt ein sozialer Mix-Schlüssel, damit soziale Brennpunkte gar nicht erst entstanden. Viele architektonische Details und historische Fakten brachte Herr Unger uns näher, so die erst mit dem Bau Eisenhüttenstadts – das lediglich vom 07. Mai 1956 bis zum 13. November 1961 Stalinstadt hieß – mitten im WK 2 angelegte Gedenkstätte für über 4.000 aus dem ehemaligen StaLag III B umgebettete tote sowjetische Kriegsgefangene (zum Vergleich: in demselben Lager kamen 101  alliierte PoW’s um). Noch vor der Wende wurde 1986 die allererste deutsch-deutsche Städte-Partnerschaft zwischen EH und Saarlouis (auf Betreiben von Erich Honecker und Oscar Lafontaine) geschlossen. Heute sind von den einst gut 50.000 Einwohnern noch ca. 25.000 übrig. Viele Gebäude wurden/ werden noch abgerissen. Teils denkmalgerechte Instandsetzungen und Modernisierungen (nur die WK 1 bis 3 stehen unter Flächendenkmalschutz) machen Eisenhüttenstadt ansehnlich und angenehm wohnlich. Alte Kultobjekte wie die Restaurants „Aktivist“ oder die „Kameltränke“ bzw. Kunst im öffentlichen Raum wie die „Treppe ins Nichts“ (Volksmund) und das Friedrich-Wolf-Theater erstrahlen wieder in neuem Licht. Einzigartig: nur hier in EH ist die gesamte Baugeschichte der DDR an einem Ort zu sehen. Obwohl wir an diesem Samstag weder das produzierende EKO noch das alte Fürstenberg besichtigen konnten, unsere Empfehlung: Eisenhüttenstadt lohnt nicht nur einen Besuch.

Bernd-R. Lehmann; Vorstandsmitglied