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IG BAU diskutiert mit Christian Gaebler
IG BAU diskutiert mit Christian Gaebler (SPD),
Senator für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen
Arbeitskreis Baupolitik der IG BAU, 25.07.2023, 15-17 Uhr, GJEW am Pichelssee
Thomas Hentschel, Vorsitzender des Bezirksvorstands der IG BAU Berlin, begrüßte den Senator und unterstrich die zentralen Forderungen der IG BAU an die Berliner Regierung. Derzeit explodiert der Anteil von Geringverdienern, die mehr als 30%, z.T. sogar 50% ihres Nettolohn für Wohnen ausgeben müssen. Daher müssen wesentlich mehr städtischen Mittel als bisher für den sozialen Wohnungsbau aufgewendet werden.
Thomas Hentschel stellte fest, dass aufgrund extrem gestiegener Kosten für Bauland sowie deutlich höherer Material- und Zinskosten die Anzahl von Bauanträgen deutlich sinke. Bereits jetzt melden erste Bauunternehmen Insolvenz an. Er fragte an, wie sich die Zielsetzung von 40.000 neu zu bauenden Wohnungen damit erreichen ließe. Der Senator entgegnete, dass bei öffentlichen Aufträgen inzwischen erste Baufirmen bei den Preisen entgegenkämen. Dies u.a. auch, da sie Preisentwicklung inzwischen wieder besser einschätzen könnten. Allerdings erwartet er, dass die Baupreise sich auf höherem Niveau einpegeln würden.
Peter Keibel, Vorsitzender des Arbeitskreises Baupolitik der IG BAU fragte nach zum „Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen“: Die IG BAU, der DGB und der Berliner Mieterverein haben das Abschlusspapier des Bündnisses nicht unterschrieben. Die IG BAU bemängelte z.B., dass Gute Arbeit auf dem Bau in dem Papier nicht vorkommt. Laut Senator Gaebler ist die Verweigerung der Unterschrift der Grund dafür, dass die drei Organisationen keine Einladungen mehr zur Weiterarbeit erhalten. Kritische Mitarbeit ist wohl nicht erwünscht. Eine weitere Nachfrage betraf die Wohnraumversorgung Berlin, eine von CDU und SPD eher ungeliebte Institution. Christian Gaebler konzentrierte sich dagegen auf institutionelle Veränderungen, wie den Verwaltungsrat und Verwaltungsbeirat anders zusammenzusetzen und zu verkleinern. Die SPD wolle die Wohnraumversorgung Berlin nicht auflösten, sondern arbeitsfähiger machen.
Jörn Rieken, Vorstand des AK stellt fest, dass im unteren Preissegment faktisch fast nur gemeinnützige Wohnungsunternehmen günstigen Wohnraum anböten. Diese könnten allerdings bei der derzeitigen Entwicklung von Materialpreisen und Bauland ohne deutlich erhöhte Zuschüsse für das Niedrigpreissegment kaum noch Neubauten errichten. Die IG BAU fordere daher, dass grade in der jetzigen Krise statt gespart eigentlich antizyklisch investiert werden muss. Auf Bundesebene müssten mindestens 50 Mrd. Euro für den Niedrigpreiswohnungsbau bereitgestellt werden, die durch Landesmittel gleicher Höhe ergänzt werden müssten. Senator Gaebler versprach, in den kommenden Haushaltsberatungen sich dafür einzusetzen, dass „wir was drauflegen müssen für Bauen im Niedrigpreissegment“. Auch dann würde die Koalition bis Ende der Legislaturperiode nur noch „auf knappe 20.000 neue Wohnungen bei den Wohnungsbaugesellschaften zielen“. Bei einem Defizit von über 100.000 unversorgten WBS-Anspruchsberechtigten keine wirklich aufbauende Nachricht.
Auf der Wohnungspolitischen Konferenz des DGB am 5. Mai dieses Jahres wurde festgestellt, dass der Abbau von Arbeitsplätzen in der Bauindustrie zwar innerhalb von ein bis zwei Jahren erfolgen können, deren Wiederaufbau erfahrungsgemäß allerdings bis zu zehn Jahren erfordere. Der Senator bestätigte, daher „benötigt die Bauindustrie Kontinuität bei der Auftragslage.“ Teilnehmer führten aus, dass erfahrungsgemäß der private Investorenbau allerdings parallel zu konjunkturellen Zyklen verlaufe. Im Unterschied hierzu bauen kommunale Wohnungsbaugesellschaften bedarfsorientiert, d.h. relativ gleichmäßig. Allerdings erhalten sie bei Ausschreibungen an privatwirtschaftlich betriebene Bauunternehmen in Hochphasen von Bauzyklen oft nur schwer oder stark überteuerte Angebote. Abhilfe schaffen könnten kommunale oder wohnungsbaugesellschaftlich eigene Baubetriebe. Im vorangegangenen Koalitionsvertrag wurde daher die Gründung öffentlicher Baugesellschaften anvisiert. Dem entgegnete der Senator nur, diese „würden nicht viel helfen“, er „wäre kein Freund davon.“
Teilnehmer fragten nach dem „Modell Wien“ als Vorbild für Berlin. Statt erhebliche öffentliche Finanzmittel in Förderinstrumente stecken, die faktisch privaten Kapitalgebern zugutekämen und dauerhaft Transferleistungen wie Kosten der Unterkunft (KDU) zu übernehmen, gehe die Stadt Wien seit über einem Jahrhundert einen anderen Weg. Hier wohnen 60% der Mieter in kommunalen oder Wohnungsbaugesellschaften zu einer durchschnittlichen Miete von unter 7,00 Euro. Immer noch kauft die Stadt Wien weitere Grundstücke sowie Wohngebäude auf und erweitert damit ihren Bestand. Das „Modell Wien“ sei aber in Deutschland nicht machbar, meinte der Senator, denn hier gäbe es kein analoges Beispiel. Dafür „haben wir in Berlin ja bereits ein kooperatives Baulandmodell mit einem 30%-Anteil für Geringverdiener.“ Statt nachhaltiger Objektförderung müsse bei neu zu bauenden Wohnungen die Subjektförderung von Wohnungsbau „für alle Niedrigeinkommensgruppen“ erhöht werden, also auch für Bezieher von Einkommen oberhalb von WBS 1. Darüber hinaus müssten alle drei Förderwege zusammen genutzt werden, Baugenehmigungen müssen vereinfacht, deren Abläufe verbessert und in überschaubaren Zeiträumen erfolgen.
Das würde das Problem mangelnder Sozialwohnungen aber nicht lösen, stellten Teilnehmer fest. Ein deutliches Beispiel sei, dass es seit Jahren bereits für Bezieher von Kosten der Unterkunft (KDU) derzeit keine Ersatzwohnungen gäbe, wenn die Bewohner wegen zu großer Wohnungen zum Umzug verpflichtet werden. Daher unterstütze der Bezirksbeirat der IG BAU Berlin, das höchste gewerkschaftliche Gremium, die Initiative der Vergesellschaftung von Immobilienkonzernen mit mehr als 3.000 Wohneinheiten. Der Senator entgegnete, dass er „kein Freund von Vergesellschaftung“ sei, da mit dieser keine neuen Wohnungen gebaut würden. Falls es dazu käme befürchtete er, dass „private Investoren dann keine neuen Wohnungen mehr bauen“ würden. Die Anmerkung von Teilnehmern, dass Bauen und Wohnen ja zwei verschiedene Instrumente seien, was ja auch in der Bezeichnung seines Resorts zu Ausdruck käme, ließ Christian Gaebler unkommentiert stehen.
Gemäß einer öffentlichen Aussage des früheren Senators für Bauen und Wohnen, Andreas Geisel, würde die Erstellung eines Vergesellschaftungsgesetzes – in Nachfolge des zu erstellenden Vergesellschaftungsrahmengesetzes –mindestens 10 Jahre benötigen. Die Frage, warum die derzeitige Mitte-Rechts-Regierung nicht direkt sagt, dass sie die Vergesellschaftung eigentlich nicht wolle, ließ der Senator unbeantwortet.
Anja Scholze, Mitglied des Bezirksvorstands der IG BAU und ehemaliges Mitglied des Aufsichtsrats der Gesobau, stellte fest, dass die neuen Anforderungen des Wohnungswärmegesetzes und der Bauschadstoffverordnung zukünftig sämtliche bisherig für Neubauten geplanten Investitionsmittel aufzehren würden. Der Senator stimmte zu, dass die derzeit geplante Bauschadstoffverordnung über das Ziel hinausschieße, wie auch andere Bundesländer monierten. Um die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften weiterhin investitionsfähig zu halten, müsste deren Eigenkapitaldecke aufgestockt werden. Der Senator wollte das bis zum Jahresende geklärt haben. Zuständig für den kommunalen Wärmeausbauplan in Berlin sei die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt. Die Planerstellung würde aber noch längere Zeit benötigen. Das „Sondervermögen Klimaschutz für Gebäudesektor im Bestand“ werde 5 Mrd. Euro umfassen, die auch von den kommunalen Wohnungsgesellschaften genutzt werden könne.
Besonders entscheidend für „Gute Arbeit“ auf Baustellen sind tarifliche Bezahlung und vollständige Entrichtung von Sozialabgaben. Allerdings stellen Prüfer der Sozialkasse Bau und Finanzkontrolle Schwarzarbeit zunehmend fest, dass auf Berliner Baustellen viele Arbeiter nur aufgrund von vorgeblichen 20-Stunden-Verträgen entlohnt werden. Faktisch läuft das auf eine starke Verringerung der Sozialversicherungsabgaben hinaus. Die im vorangegangenen Koalitionsvertrag vereinbarte elektronische Baustellenkarte zur Erfassung realer Arbeitszeiten bei öffentlichen Ausschreibungen ebenso wie „gute Arbeit“ auf Baustellen sind weiterhin nicht eingeführt. Zuständig dafür sei Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung (SenASGIVA). Ansprechpartnerin sei die Staatsekretärin Micha Klapp.
Ebenfalls im vorangegangenen Koalitionsvertrag wurde eine Aufstockung von Personal und Material sowie bessere Vernetzung der Gewerbeaufsichtsämter vereinbart. Teilnehmer wiesen auf das Problem hin, dass auf Berliner Baustellen vierstellige Zahlen meist migrantischer Scheinselbständiger beschäftigt sind. Sie werden von Unterauftragnehmern mittels mafiaähnlicher Schleuserbanden angeworben und registriert. Befragungen dieser Scheinselbständigen ergaben, dass sie bei jedem dritten Unterauftragnehmer nicht einmal entlohnt werden. Auch für dieses Thema sei SenASGIVA zuständig mit der Ansprechpartnerin Micha Klapp.
Das von CDU und FDP geforderte Baulückenkataster sei überflüssig, befand der Senator. Bezüglich des Volksentscheids zur Freihaltung des Tempelhofer Feldes unterbreitete er den Vorschlag, die Diskussion wieder in Gang zu bringen um eine neue Meinungsbildung zu erstellen, ggf. mit einem neuen Volksbegehren und Volksbefragung. Ansonsten sei bei Wahlen drüber zu entscheiden.
Nach zweistündige intensiver Diskussion zeigte sich der EVB-Kollege Christian Gaebler erfreut über die Einladung zu dieser Veranstaltung und dass er auch in Zukunft gerne das Gespräch unter Gewerkschaftern suche.